Aviate, Navigate, Communicate
09.06.15 21:06 Ausbildung
Von Anbeginn der Luftfahrt erhalten Piloten in Ihrer Ausbildung den ANC-Merksatz beigebracht: Aviate, Navigate, Communicate! Die Reihenfolge der Begriffe gibt gleichzeitig die Priorität vor: An erster und wichtigster Stelle steht das Fliegen.
Das klingt so wunderbar logisch und einfach, wird aber besonders unter Stress missachtet. Das bekannteste Beispiel aus den Lehrbüchern dürfte der Unfall von Eastern Airlines 401 im Dezember 1972 sein. Pilot und Crew waren so sehr mit einer durchgebrannten Fahrwerkslampe beschäftigt, dass keiner von Ihnen den langsamen Sinkflug bemerkte. Im US-Unfallbericht heisst es "failure to aviate".
Mit meinem heutigen Blogbeitrag möchte ich diesen Merksatz ganz praktisch betrachten und auf Ablenkungen sensibilisieren, damit aus diesen keine Fehlerketten mit fatalem Ende werden können.
Wer häufig unterschiedliche Muster oder aber Muster mit unterschiedlichen Cockpit-Layouts fliegt, kennt vermutlich das Problem: Erst wenn Lage und Bedienung aller Instrumente vertraut sind, reicht ein kurzer Blick ins Panel, um Fluglage und Motorstatus schnell erfassen zu können. Anders positionierte oder unterschiedliche Instrumente erzeugen hingegen Umstellungsstress. Ein Pilot muß länger hinschauen und im schlimmsten Fall nach einer bestimmten Anzeige suchen. Moderne EFIS und GPS Navigationssysteme mit Ihren detaillierten Informations- und Einstellmöglichkeiten erweisen sich - so nützlich sie im Regelbetrieb auch sind - in solchen Momenten als gefährliche Ablenkung, wenn während des Fluges irgendetwas einzustellen ist.
Kommen weitere Faktoren wie beispielsweise ungünstige Sichtbedingungen hinzu, entstehen die kritischen Situationen, wo plötzlich wichtige Sekunden in der Luftraumbeobachtung fehlen. Flugzeuge auf Kollisionskurs - sofern man diese überhaupt vorher bemerkt hat - erscheinen als kleine, starre Punkte, die lange so verbleiben bis sie plötzlich binnen weniger Sekunden "aufblühen". Exemplarisch ein Zitat aus der Unfallakte des Fliegermagazins aus 6/2009:
Bestes Wetter, eine perfekte und bereits mehrere Tage im voraus begonnene Flugvorbereitung einhergehend mit mehr als 8 Stunden gründlicher Einweisung haben den nachfolgenden Unfall einer FK9 nicht verhindern haben können. Das zeigt diese Fliegermagazin Unfallakte aus 3/2011:
Die ungewohnte Umgebung, der fremde Flugplatz, wechselnde Lufträume und Anweisungen von Fluglotsen einhergehend mit Funkfrequenz- und Transpondercodewechsel haben den Piloten offensichtlich derart überfordert, dass er ab einem bestimmten Zeitpunkt Anweisungen nicht mehr befolgen und einfache Fragen nur noch falsch beantworten konnte. Es wird wohl nie gelöst werden, was in den letzten Minuten vor dem Absturz genau im Cockpit passierte, aber anhand Flugweg, Funkverlauf und Unfallbericht der helvetischen Ermittler deutet alles auf eine Überforderung des Piloten durch Navigation und Kommunikation. Das Fliegen selbst kam tragischerweise zu kurz: Strömungsabriss aufgrund zu geringer Geschwindigkeit in Bodennähe.
Als letztes Beispiel möchte ich den Flugunfall aus dem BFU Unfallbericht 3X025-11 aus dem Jahr 2011 nennen: Ein mit über 1.000 Flugstunden sehr erfahrener und als umsichtig bekannter Pilot hat auf einem Rundflug mit Passagier versehentlich eine Luftraumverletzung begangen. Die anschliessende Zurechtweisung und die Kenntnis der Strafe haben möglicherweise den Piloten derart in Stress versetzt, dass er bei der Landung auf seinem vertrauten Heimatplatz einen fatalen Anfängerfehler begangen hat. Im Unfallbericht heisst es dazu:
In diesem Beispiel war es vermutlich die Zurechtweisung. In anderen Unfällen können es redselige Passagiere, Zuschauer am Boden, falsche Erwartungshaltungen oder eine starre Zielfixierung des Piloten sein, die vom eigentlichen Fliegen der Maschine ablenken. Ich bin einmal mit einem Flugschüler, der den ganzen Tag und die Nacht zuvor durchgearbeitet hat zum Schulungsflug aufgebrochen. Nach bereits zwei Platzrunden und mehr oder minder missratenen Landeversuchen war für mich klar, dass das heute nichts wird. Wir sind darauf hin gelandet. Wir beide wussten, dass er zu diesem Zeitpunkt besser fliegen und landen konnte. Als er mir im Gespräch von seiner durchgearbeiteten Nacht und seiner Arbeitsbelastung erzählte, wurde ihm selbst klar, dass es in solchen Situationen keinen Sinn macht auch noch Landeübungen zu machen, geschweige denn überhaupt zu fliegen.
Ist der Merksatz "Aviate-Navigate-Communicate" noch leicht zu merken, fällt die praktische Anwendung umso schwerer. Ab wann beginnt ein Faktor vom Führen eines Luftfahrzeuges abzulenken? Wo beginnt der Stresslevel, der am Ende zu einem Unfall führt? Diese Frage muss jeder für sich selbst beantworten. Einige brauchen einen gewissen Stresslevel, um Ihre volle Leistungsfähigkeit abrufen zu können. Andere sind da längst im psychologischen Notmodus und beginnen Risiken auszublenden oder längst unerreichbare Ziele weiterhin krampfhaft zu erreichen.
Je vorausschauender und ergonomischer im Sinne der Arbeitsbelastung ein Pilot fliegt, um so eher kann er auf plötzlich eintretende Probleme reagieren. Von daher ist alles, was im Cockpit eine Verbesserung der Aviate-Komponente bringt willkommen. Das kann das Rasten der Haupt- und Nebenfrequenzen im Funkgerät vor Start oder Landung sein. Das kann aber auch das Weglegen von Handy, Filmkamera oder störenden Ladekabeln sein. Das Stichwort hier heisst Single-Pilot-Ressource Management, kurz SRM, welches in Anlehnung an das CRM der Berufsfliegerei verwendet wird. Empfehlenswert ist hier ein Blick auf das Angebot der FAA mit Ihren zahlreichen Informationen und Manuals zu SRM.
Bei der Luftraumbeobachtung sind die wenigen Zentimeter auf der Horizontlinie zwischen 10 und 2 Uhr die gefährlichsten. Hilfreich ist es auf Überlandflügen seinen Passagier mit in die Luftbeobachtung einzubeziehen. So schlägt man gleich drei Fliegen mit einer Klappe: Der ablenkende Small-Talk wird reduziert, der Pilot in der Luftraumbeobachtung entlastet und der Passagier erhält das positive Gefühl, einer sinnvollen Aufgabe nachzugehen. Hierzu auch folgende Unfallakte aus dem Fliegermagazin 12/2005.
Hilfreich kann es sein, bei anstehenden Entscheidungen in kritischen Situationen sich immer alternative Handlungsoptionen offen zu halten. Ein Unfall steht immer erst am Ende einer Kette von zuvor getroffenen Entscheidungen. So gesehen existieren keine guten oder schlechten Entscheidungen sondern es ist immer die Frage nach der Anzahl der Alternativen, die einem Piloten verbleiben. Lesenswert ist meiner Meinung nach das Buch von Peter Brandl "Crash Kommunikation - warum Piloten versagen und Manager Fehler machen", wo solche Erkenntnisse aus dem CRM sehr gut auf Unternehmensebene portiert werden. Wer wie ich in beiden Welten unterwegs ist, wird dieses Buch sofort mögen.
Also warum einen Anflug krampfhaft bis zur Landung fortsetzen, wenn bereits im Queranflug ersichtlich wird, dass Flughöhe oder Geschwindigkeit nicht passen? Warum nicht durchstarten, neu sortieren und in Ruhe erneut anfliegen? Warum nach der Lücke in einer Schlechtwetterfront suchen, wenn am Boden bei einer Tasse Kaffee wesentlich bessere Informationen zur Entscheidung heran gezogen werden können?
In diesem Sinne,
always happy landings!
Euer Tomas
Das klingt so wunderbar logisch und einfach, wird aber besonders unter Stress missachtet. Das bekannteste Beispiel aus den Lehrbüchern dürfte der Unfall von Eastern Airlines 401 im Dezember 1972 sein. Pilot und Crew waren so sehr mit einer durchgebrannten Fahrwerkslampe beschäftigt, dass keiner von Ihnen den langsamen Sinkflug bemerkte. Im US-Unfallbericht heisst es "failure to aviate".
Mit meinem heutigen Blogbeitrag möchte ich diesen Merksatz ganz praktisch betrachten und auf Ablenkungen sensibilisieren, damit aus diesen keine Fehlerketten mit fatalem Ende werden können.
Zuwenig A
Wer häufig unterschiedliche Muster oder aber Muster mit unterschiedlichen Cockpit-Layouts fliegt, kennt vermutlich das Problem: Erst wenn Lage und Bedienung aller Instrumente vertraut sind, reicht ein kurzer Blick ins Panel, um Fluglage und Motorstatus schnell erfassen zu können. Anders positionierte oder unterschiedliche Instrumente erzeugen hingegen Umstellungsstress. Ein Pilot muß länger hinschauen und im schlimmsten Fall nach einer bestimmten Anzeige suchen. Moderne EFIS und GPS Navigationssysteme mit Ihren detaillierten Informations- und Einstellmöglichkeiten erweisen sich - so nützlich sie im Regelbetrieb auch sind - in solchen Momenten als gefährliche Ablenkung, wenn während des Fluges irgendetwas einzustellen ist.
Kommen weitere Faktoren wie beispielsweise ungünstige Sichtbedingungen hinzu, entstehen die kritischen Situationen, wo plötzlich wichtige Sekunden in der Luftraumbeobachtung fehlen. Flugzeuge auf Kollisionskurs - sofern man diese überhaupt vorher bemerkt hat - erscheinen als kleine, starre Punkte, die lange so verbleiben bis sie plötzlich binnen weniger Sekunden "aufblühen". Exemplarisch ein Zitat aus der Unfallakte des Fliegermagazins aus 6/2009:
Auf einer Windschutzscheibe, die einen Meter vom Auge des Piloten entfernt ist, erscheint ein zwei Kilometer entferntes Flugzeug mit zehn Metern Spannweite in einer Größe von fünf Millimetern. Zwei Piloten mit direktem Kollisionskurs verbleiben weniger als 20 Sekunden, um eine solche Situation zu entschärfen.
Zuviel N und C
Bestes Wetter, eine perfekte und bereits mehrere Tage im voraus begonnene Flugvorbereitung einhergehend mit mehr als 8 Stunden gründlicher Einweisung haben den nachfolgenden Unfall einer FK9 nicht verhindern haben können. Das zeigt diese Fliegermagazin Unfallakte aus 3/2011:
Die ungewohnte Umgebung, der fremde Flugplatz, wechselnde Lufträume und Anweisungen von Fluglotsen einhergehend mit Funkfrequenz- und Transpondercodewechsel haben den Piloten offensichtlich derart überfordert, dass er ab einem bestimmten Zeitpunkt Anweisungen nicht mehr befolgen und einfache Fragen nur noch falsch beantworten konnte. Es wird wohl nie gelöst werden, was in den letzten Minuten vor dem Absturz genau im Cockpit passierte, aber anhand Flugweg, Funkverlauf und Unfallbericht der helvetischen Ermittler deutet alles auf eine Überforderung des Piloten durch Navigation und Kommunikation. Das Fliegen selbst kam tragischerweise zu kurz: Strömungsabriss aufgrund zu geringer Geschwindigkeit in Bodennähe.
Weitere Faktoren
Als letztes Beispiel möchte ich den Flugunfall aus dem BFU Unfallbericht 3X025-11 aus dem Jahr 2011 nennen: Ein mit über 1.000 Flugstunden sehr erfahrener und als umsichtig bekannter Pilot hat auf einem Rundflug mit Passagier versehentlich eine Luftraumverletzung begangen. Die anschliessende Zurechtweisung und die Kenntnis der Strafe haben möglicherweise den Piloten derart in Stress versetzt, dass er bei der Landung auf seinem vertrauten Heimatplatz einen fatalen Anfängerfehler begangen hat. Im Unfallbericht heisst es dazu:
Die Durchführung des nachfolgenden Sprechfunkverkehrs mit Zürich Information lässt auf eine Unkonzentriertheit des Piloten schließen, wahrscheinlich ausgelöst durch die vorangegangene Zurechtweisung in Biberach vor dem Rückflug.
In diesem Beispiel war es vermutlich die Zurechtweisung. In anderen Unfällen können es redselige Passagiere, Zuschauer am Boden, falsche Erwartungshaltungen oder eine starre Zielfixierung des Piloten sein, die vom eigentlichen Fliegen der Maschine ablenken. Ich bin einmal mit einem Flugschüler, der den ganzen Tag und die Nacht zuvor durchgearbeitet hat zum Schulungsflug aufgebrochen. Nach bereits zwei Platzrunden und mehr oder minder missratenen Landeversuchen war für mich klar, dass das heute nichts wird. Wir sind darauf hin gelandet. Wir beide wussten, dass er zu diesem Zeitpunkt besser fliegen und landen konnte. Als er mir im Gespräch von seiner durchgearbeiteten Nacht und seiner Arbeitsbelastung erzählte, wurde ihm selbst klar, dass es in solchen Situationen keinen Sinn macht auch noch Landeübungen zu machen, geschweige denn überhaupt zu fliegen.
Zusammenfassung
Ist der Merksatz "Aviate-Navigate-Communicate" noch leicht zu merken, fällt die praktische Anwendung umso schwerer. Ab wann beginnt ein Faktor vom Führen eines Luftfahrzeuges abzulenken? Wo beginnt der Stresslevel, der am Ende zu einem Unfall führt? Diese Frage muss jeder für sich selbst beantworten. Einige brauchen einen gewissen Stresslevel, um Ihre volle Leistungsfähigkeit abrufen zu können. Andere sind da längst im psychologischen Notmodus und beginnen Risiken auszublenden oder längst unerreichbare Ziele weiterhin krampfhaft zu erreichen.
Je vorausschauender und ergonomischer im Sinne der Arbeitsbelastung ein Pilot fliegt, um so eher kann er auf plötzlich eintretende Probleme reagieren. Von daher ist alles, was im Cockpit eine Verbesserung der Aviate-Komponente bringt willkommen. Das kann das Rasten der Haupt- und Nebenfrequenzen im Funkgerät vor Start oder Landung sein. Das kann aber auch das Weglegen von Handy, Filmkamera oder störenden Ladekabeln sein. Das Stichwort hier heisst Single-Pilot-Ressource Management, kurz SRM, welches in Anlehnung an das CRM der Berufsfliegerei verwendet wird. Empfehlenswert ist hier ein Blick auf das Angebot der FAA mit Ihren zahlreichen Informationen und Manuals zu SRM.
Bei der Luftraumbeobachtung sind die wenigen Zentimeter auf der Horizontlinie zwischen 10 und 2 Uhr die gefährlichsten. Hilfreich ist es auf Überlandflügen seinen Passagier mit in die Luftbeobachtung einzubeziehen. So schlägt man gleich drei Fliegen mit einer Klappe: Der ablenkende Small-Talk wird reduziert, der Pilot in der Luftraumbeobachtung entlastet und der Passagier erhält das positive Gefühl, einer sinnvollen Aufgabe nachzugehen. Hierzu auch folgende Unfallakte aus dem Fliegermagazin 12/2005.
Hilfreich kann es sein, bei anstehenden Entscheidungen in kritischen Situationen sich immer alternative Handlungsoptionen offen zu halten. Ein Unfall steht immer erst am Ende einer Kette von zuvor getroffenen Entscheidungen. So gesehen existieren keine guten oder schlechten Entscheidungen sondern es ist immer die Frage nach der Anzahl der Alternativen, die einem Piloten verbleiben. Lesenswert ist meiner Meinung nach das Buch von Peter Brandl "Crash Kommunikation - warum Piloten versagen und Manager Fehler machen", wo solche Erkenntnisse aus dem CRM sehr gut auf Unternehmensebene portiert werden. Wer wie ich in beiden Welten unterwegs ist, wird dieses Buch sofort mögen.
Also warum einen Anflug krampfhaft bis zur Landung fortsetzen, wenn bereits im Queranflug ersichtlich wird, dass Flughöhe oder Geschwindigkeit nicht passen? Warum nicht durchstarten, neu sortieren und in Ruhe erneut anfliegen? Warum nach der Lücke in einer Schlechtwetterfront suchen, wenn am Boden bei einer Tasse Kaffee wesentlich bessere Informationen zur Entscheidung heran gezogen werden können?
In diesem Sinne,
always happy landings!
Euer Tomas