Die Todeszone
24.09.15 12:19 Ausbildung
Einige werden das Buch mit dem Titel "The Killing Zone - How & Why Pilots Die" von Dr. Paul Craig vielleicht kennen. Ein wirklich leicht verständliches und gut zu lesendes Buch, das in keinem Bücherregal eines Piloten fehlen sollte. Die Überlegungen aus diesem Buch bilden den Rahmen für meinen heutigen Blogbeitrag.
Die zentrale Aussage von Craig beruht auf seiner Annahme, dass es eine "Killing Zone" für Piloten in der allgemeinen Luftfahrt gibt. Er hat diese in einem Bereich zwischen 50 und 350 Flugstunden (Total Flight Hours, TFH) ausgemacht und begründet es anhand FAA und NTSB Zahlenmaterial und einer von ihm mathematisch errechneten, linearen Funktionsgleichung. Um diese zentrale Aussage gibt er Anregungen, wie ein Pilot die letalen Fehlerketten und Fehlerpyramiden durchbrechen kann.
Wer jetzt aufatmet und meint diesen gefährlichen Bereich an Flugstunden bereits hinter sich gelassen zu haben, den muß ich leider enttäuschen: William R. Knecht vom Civil Aerospace Medical Institute (eine Unterabteilung der amerikanischen Luftfahrtbehörde FAA) hat die zentrale Aussage dieses Buches einem wissenschaftlichen Review unterzogen und kann eine Todeszone im Grunde nach zwar bestätigten, kommt jedoch im Gegensatz zu Craig auf eine nicht-lineare Funktionsgleichung. Die von Craig genannten 50-350 Flugstunden halten einer wissenschaftlichen Betrachtung nicht stand sondern müssen weiter gefasst werden. Zudem spielen eine Menge weiterer „noisy“ Hintergrundfaktoren statistischer und mathematischer Art in die Betrachtung hinein, welche Knecht in seinem Report "Predicting Accident Rates From General Aviation Pilot Total Flight Hours" sehr gut wiedergibt. So beginnt die Zone der relativ hohen Wahrscheinlichkeit als Pilot einen Flugunfall zu erleiden bei 200 Flugstunden und reicht bis weit nach 1.000 Flugstunden. Erst ab etwa 2.000 Flugstunden sinkt die Wahrscheinlichkeitskurve langsam aber stetig auf ein nicht mehr messbares Maß:
Es gibt also tatsächlich eine mathematische Big-Data Formel, mit der eine Wahrscheinlichkeit von Flugunfällen in der allgemeinen Luftfahrt vorhergesagt werden kann. Ein spannender Gedanke, der nach einer Übertragung auf die bei uns in Deutschland bestehende Situation ruft. Denn sowohl Craig als auch Knecht haben nur US Zahlenmaterial untersucht.
Will man an deutsches Zahlenmaterial wird es schwierig. Knecht würde vermutlich an den deutschen Verhältnissen verzweifeln, wenn er seine Studie hier hätte durchführen wollen. Denn obwohl in Deutschland wie in kaum einem anderen Land auf Flugplätzen Start- und Landezeiten minutengenau von Flugleitern erfasst werden landet diese Datensammlung in der Versenkung. Eine zentrale und öffentliche Recherchenmöglichkeit nach Anzahl der Starts gibt es nicht. Es existieren die bekannten Untersuchungsberichte der BFU, wo in PDF-Protokollen Unfallhergang und Anzahl der Flugstunden der verunfallten Piloten - sofern möglich - genannt werden. Doch untersucht die BFU längst nicht jeden Flugunfall so detailliert und für uns Piloten interessant aufbereitet wie beispielsweise die Gefahr von Wirbelschleppen, sondern konzentriert sich nur auf jene, wo Erkenntnisse für die allgemeine Luftfahrt zur Verhütung weiterer Unfälle hergeleitet werden können.
Hinzu kommt eine hohe Dunkelziffer an Unfällen, die schlichtergreifend aus Angst vor Sanktionen nicht gemeldet werden. Sogenannte "Non-Punishment Reporting Systeme“ wie in der professionellen Berufsfliegerei und bei Airlines üblich könnten helfen, fehlen bei uns in Deutschland jedoch gänzlich. In England ist man mit CHIRP (The UK Confidential Reporting Programme for Aviation and Maritime) deutlich weiter. Dort werden Vorfälle anonym und ohne Konsequenzen für die Betroffenen gesammelt, regelmäßig in Newslettern vorgestellt und fachgerecht kommentiert. Diese Art einer positiven Fehlerkultur ist den negativen Erlebnissen in Flugplatzgesprächen oder auch in diversen UL Foren vorzuziehen, wo sinnvolle Diskussionen unterbunden werden oder in gegenseitigen Beschimpfungen enden.
Für mich persönlich habe ich das Aviation Safety Network (ASN) als relativ zuverlässige Quelle für Flugunfälle gefunden, wo von der Community Pressemeldungen von Flugunfällen gemeldet werden. In diesem Material kann zumindest eine grobe Recherche betrieben werden, wenngleich auch hier eine Zuordnung nach Flugstunden und Erfahrungstand der verunglückten Piloten fehlt.
Als Fazit bleibt die Erkenntnis, dass in der Fliegerei nichts gefährlicher ist als die Selbstüberschätzung. Wer selbstzufrieden auf seine geleisteten Flugstunden blickt, begeht bereits den ersten Schritt in einer Fehlerkette, die in einem Flugunfall enden kann.
In diesem Sinne, fliegt immer safe!
Tomas Jakobs
Die zentrale Aussage von Craig beruht auf seiner Annahme, dass es eine "Killing Zone" für Piloten in der allgemeinen Luftfahrt gibt. Er hat diese in einem Bereich zwischen 50 und 350 Flugstunden (Total Flight Hours, TFH) ausgemacht und begründet es anhand FAA und NTSB Zahlenmaterial und einer von ihm mathematisch errechneten, linearen Funktionsgleichung. Um diese zentrale Aussage gibt er Anregungen, wie ein Pilot die letalen Fehlerketten und Fehlerpyramiden durchbrechen kann.
Wer jetzt aufatmet und meint diesen gefährlichen Bereich an Flugstunden bereits hinter sich gelassen zu haben, den muß ich leider enttäuschen: William R. Knecht vom Civil Aerospace Medical Institute (eine Unterabteilung der amerikanischen Luftfahrtbehörde FAA) hat die zentrale Aussage dieses Buches einem wissenschaftlichen Review unterzogen und kann eine Todeszone im Grunde nach zwar bestätigten, kommt jedoch im Gegensatz zu Craig auf eine nicht-lineare Funktionsgleichung. Die von Craig genannten 50-350 Flugstunden halten einer wissenschaftlichen Betrachtung nicht stand sondern müssen weiter gefasst werden. Zudem spielen eine Menge weiterer „noisy“ Hintergrundfaktoren statistischer und mathematischer Art in die Betrachtung hinein, welche Knecht in seinem Report "Predicting Accident Rates From General Aviation Pilot Total Flight Hours" sehr gut wiedergibt. So beginnt die Zone der relativ hohen Wahrscheinlichkeit als Pilot einen Flugunfall zu erleiden bei 200 Flugstunden und reicht bis weit nach 1.000 Flugstunden. Erst ab etwa 2.000 Flugstunden sinkt die Wahrscheinlichkeitskurve langsam aber stetig auf ein nicht mehr messbares Maß:
However, that zone may be far broader than earlier imagined. Relatively high risk for an individual pilot may extend well beyond the 2,000-hour mark before leveling off to a baseline rate.
Es gibt also tatsächlich eine mathematische Big-Data Formel, mit der eine Wahrscheinlichkeit von Flugunfällen in der allgemeinen Luftfahrt vorhergesagt werden kann. Ein spannender Gedanke, der nach einer Übertragung auf die bei uns in Deutschland bestehende Situation ruft. Denn sowohl Craig als auch Knecht haben nur US Zahlenmaterial untersucht.
Will man an deutsches Zahlenmaterial wird es schwierig. Knecht würde vermutlich an den deutschen Verhältnissen verzweifeln, wenn er seine Studie hier hätte durchführen wollen. Denn obwohl in Deutschland wie in kaum einem anderen Land auf Flugplätzen Start- und Landezeiten minutengenau von Flugleitern erfasst werden landet diese Datensammlung in der Versenkung. Eine zentrale und öffentliche Recherchenmöglichkeit nach Anzahl der Starts gibt es nicht. Es existieren die bekannten Untersuchungsberichte der BFU, wo in PDF-Protokollen Unfallhergang und Anzahl der Flugstunden der verunfallten Piloten - sofern möglich - genannt werden. Doch untersucht die BFU längst nicht jeden Flugunfall so detailliert und für uns Piloten interessant aufbereitet wie beispielsweise die Gefahr von Wirbelschleppen, sondern konzentriert sich nur auf jene, wo Erkenntnisse für die allgemeine Luftfahrt zur Verhütung weiterer Unfälle hergeleitet werden können.
Hinzu kommt eine hohe Dunkelziffer an Unfällen, die schlichtergreifend aus Angst vor Sanktionen nicht gemeldet werden. Sogenannte "Non-Punishment Reporting Systeme“ wie in der professionellen Berufsfliegerei und bei Airlines üblich könnten helfen, fehlen bei uns in Deutschland jedoch gänzlich. In England ist man mit CHIRP (The UK Confidential Reporting Programme for Aviation and Maritime) deutlich weiter. Dort werden Vorfälle anonym und ohne Konsequenzen für die Betroffenen gesammelt, regelmäßig in Newslettern vorgestellt und fachgerecht kommentiert. Diese Art einer positiven Fehlerkultur ist den negativen Erlebnissen in Flugplatzgesprächen oder auch in diversen UL Foren vorzuziehen, wo sinnvolle Diskussionen unterbunden werden oder in gegenseitigen Beschimpfungen enden.
Für mich persönlich habe ich das Aviation Safety Network (ASN) als relativ zuverlässige Quelle für Flugunfälle gefunden, wo von der Community Pressemeldungen von Flugunfällen gemeldet werden. In diesem Material kann zumindest eine grobe Recherche betrieben werden, wenngleich auch hier eine Zuordnung nach Flugstunden und Erfahrungstand der verunglückten Piloten fehlt.
Als Fazit bleibt die Erkenntnis, dass in der Fliegerei nichts gefährlicher ist als die Selbstüberschätzung. Wer selbstzufrieden auf seine geleisteten Flugstunden blickt, begeht bereits den ersten Schritt in einer Fehlerkette, die in einem Flugunfall enden kann.
In diesem Sinne, fliegt immer safe!
Tomas Jakobs