Richtig starten - Teil II
26.10.16 21:47 Ausbildung
Im zweiten Teil der Blog-Miniserie geht es um alles, was nicht normal ist. Das sind Kurz-, Seitenwind- und manchmal auch Rückenwindstarts.
Wer bisher immer nur auf Asphalt gestartet ist, für den stellen Gras-, Schotter- bzw. Erdpisten eine neue Erfahrung dar. Doch bevor wir loslegen zunächst ein extra Abschnitt zu dem, was auf keinen Fall passieren darf:
Stall im Steigflug
Warum die ständigen Ermahnungen auf die Geschwindigkeit zu achten und lieber mit etwas mehr an Reserve zu starten? Weil es eine gute Faustregel zum Verhindern eines Strömungsabrisses ist. Natürlich ist nicht die Geschwindigkeit sondern der Anstellwinkel (Angle of Attack oder kurz AOA) der Verantwortliche. Und es ist der Steigflug, der nach mehr Auftrieb und folglich auch nach einem höheren Anstellwinkel verlangt. Doch erhöht sich mit dem Anstellwinkel leider auch der Widerstand mit dem unschönen Nebeneffekt der Fahrtabnahme. Solange weder Stallwarnung noch AOA-Anzeige zur vorgeschriebenen Mindestausrüstung eines Luftsportgerätes zählen, verbleibt einem Piloten als einziges Indiz daher nur der Blick auf seine Geschwindigkeitsanzeige.
PPL Umsteiger, die sich bisher in einer Cessna & Co auf das Quäken einer Stall-Warnung verlassen haben müssen im UL ohne Warnung auskommen. Um es in aller Deutlichkeit zu sagen: Wer in Bodennähe in einen Stall gerät, für den sind die Karten gelegt. Daher ist die beste Unfallvermeidung, es gar nicht erst soweit kommen zu lassen. Das klingt wunderbar einfach und logisch, kann aber bei Betrachtung der vielen „contributing factors“ schwieriger als gedacht sein.
Grundsätzlich wird zwischen drei Arten von Stall unterschieden:
Unser Interesse gilt dem Departure oder Power-On Stall. Die begünstigenden Faktoren lauten:
Jeder Punkt bietet Raum für seitenfüllende Ausführungen, Beispiele und Details. Daher belasse ich es bei dieser Aufzählung und möchte lediglich den letzten Punkt „Ablenkungen“ besonders hervorheben.
Eine Kleinigkeit - ein ungewohntes Geräusch, das Klappern des noch offenen Tankdeckels, die aufgegangene Kabinentür - das alles reicht aus, um Piloten aus der Komfortzone herauszureissen und vom Fliegen abzulenken. Leider ist der Start eine kritische Flugphase, die wenig bis gar keinen Spielraum für Ablenkungen und Fehlentscheidungen übrig lässt.
Der Untergrund
Kommen wir zu Starts auf Gras-, Schotter- oder Erdpisten. Letztgenannte sind eher in den Gefilden südlich der Alpen vorzufinden. Bei uns überwiegen Graspisten. Erschreckend ist die Anzahl an Piloten, die meiner Beobachtung nach während Ihrer Ausbildung keine Berührung mit diesen hatten. Ein Defizit mit tiefergehenden psychologischen Folgen. So wird pauschal alles jenseits einer befestigten Piste gefürchtet. Anstelle der völlig bedenkenlosen Wiese, die möglicherweise sogar einen Wiederstart ermöglicht, wird für eine Notlandung lieber die befestigte Straße mit schlechterer Hindernissituation und höherem Gefahrenpotential gewählt.
Während die Beschaffenheit von Asphalt- oder Erdpisten leicht einsehbar ist, so trifft das auf Graspisten leider nicht immer zu. Tückisch sind nicht die Hinterlassenschaften einer durchgezogenen Wildschweinherde - diese sind schnell vom Boden und aus der Luft entdeckt (Dankeschön für die Bilder und zugleich Mitleid für die ruinierte Piste an den LSV Hünsborn).
Es sind die unscheinbaren Bodenwellen, von Hunden gebuddelte Löcher oder nasse und weiche Stellen. Wer morgens als erster startet, der handelt umsichtig, wenn er eine Graspiste lieber zu Fuß abschreitet. Soviel Zeit sollte sein und ist zugleich eine ideale Gelegenheit zur mentalen Vorbereitung auf den Tag oder Flug. Ohnehin sollte bei Starts auf unbefestigten Pisten mehr Zeit für die Vorflugkontrolle und nach der Landung für das Saubermachen und Prüfen nach Beschädigungen eingeplant werden. Neuralgische Stellen sind Prop, Bremsen, Fahrwerk, Ölkühlung und sämtliche Schrauben und Befestigungen. Oder wer kontrolliert bei einer C42 die beiden Schrauben auf der Fahrwerks-Innenseite, wo die Radschuhe befestigt sind? Erfahrungsgemäß lösen sich diese bei Dauerbelastung auf unbefestigten Pisten besonders gerne.
Nächster wichtiger Punkt ist die Startstrecken-Berechnung. Klingt komplizierter als es ist und wird von UL Piloten meist auf die leichte Schulter genommen. Sind wir in einem UL meist nach 150-200 Meter in der Luft. Doch spielen auch hier Faktoren wie Überladung, Bodenbeschaffenheit oder „hot & high“ eine Rolle. Eine schon etwas ältere aber immer noch lesenswerte FSM Sicherheitsmitteilung 3/75 fasst die wichtigsten Faktoren zusammen. Auf dieser Grundlage habe ich vor einigen Monaten eine kleine WebApp zur Berechnung der Startstrecke erstellt.
Eine Cowl-Flap oder Vergaservorwärmung sollten bei steinigem Untergrund während des Rollens und im Startlauf geschlossen bleiben sofern die Öffnungen nach unten weisen und Gefahr besteht, daß aufgewirbelter Staub oder Steine hineingeraten könnten. Sobald in der Luft, können (und sollten!) diese wieder geöffnet werden. Problematisch sind hier besonders Turbo-Motoren oder thermisch ungünstig gebaute Muster, die viel Kühlung brauchen. Es versteht sich von selbst, daß die Temperaturen bei Start und im späteren Steigflug im Blick behalten werden. Höhere Geschwindigkeiten und ein flacheres Steigen wirken sich hier in so fern positiv aus, da ein Motor besser gekühlt wird.
Zuletzt ein unscheinbarer Punkt, der auf unbefestigten Pisten leider schnell zum Problem werden kann: Saugnapf-Halterungen für die digitalen Helferlein im Cockpit. Meiner persönlichen Meinung nach haben Saugnäpfe in einem Panel oder an einer Frontscheibe nichts verloren. Im gleichen Atemzug sind auch frei umherfliegende Ladekabel an Zigarettenanzünder-Adaptern zu nennen. Durch die Erschütterungen einer unbefestigten Piste fallen diese früher oder später ab oder schlimmer: Pendeln noch am Ladekabel hängend im Panel hin und her und verstellen elektrische Hauptschalter oder sogar Magnete. Wir erinnern uns an den weiter oben thematisierten Punkt „Ablenkungen“ in einer kritischen Flugphase?
In der Berufsfliegerei ist zurecht die Rede von einer „sterilen“ Arbeitsumgebung unterhalb FL100. Natürlich kann die dortige Arbeitsbelastung nicht 1:1 auf uns Hobbyflieger übertragen werden, doch zählt hier der Grundgedanke hinter dieser Regelung. Wer in einer kritischen Flugphase im Chaos voller Ablenkungen sitzt, der kann nur bedingt bei der Sache sein, strukturiert denken und klaren Abläufen folgen.
Der Startlauf
Im Grunde ist jeder Start auf unbefestigtem Grund ein Kurzstart. Das Ziel lautet möglichst schnell vom Boden weg zu kommen. Jeder unnötige Schlag und Stoß geht auf das Material. Am meisten leidet das Bugrad. Alle Spornrad-Flieger dürfen sich jetzt tiefenentspannt zurück lehnen und die nächsten Abschnitte überspringen.
Bereits beim Rollen ist ein Bugrad mit einem voll nach hinten gezogenen Höhenruder zu entlasten. Das vermindert zugleich auch den Rollwiderstand. Entscheidend ist nach dem Rotieren die Balance und die weitere Beschleunigung auf dem Hauptfahrwerk um anschliessend im Bodeneffekt abzuheben. Hier kommt das richtige Landeklappen-Setting ins Spiel. Bei den meisten Mustern garantieren ausgefahrene Klappen ein rasches Wegkommen vom Boden. Die Gretchenfrage lautet immer volle oder nur teilweise ausgefahrene Klappen. Das jeweilige Betriebshandbuch des Musters gibt die Lösung. In der Regel starten die meisten ULs mit teilweise ausgefahrenen Klappen.
Trotzdem starten einige gerne mit vollen Klappen und meinen damit eine Kurzstart-Technik anzuwenden. Dem ist leider nicht so. Und was bei gutmütigen und einfachen Mustern wie einer C42 noch funktioniert, kann bei einem High-Performance Muster schnell im Unfall enden. Volle Klappen dienen hier weniger als Auftriebshilfe sondern eher als Bremsklappe. Veränderungen im Klappen-Setting gehen häufig mit dem Nachtrimmen einher und das vermeidet man tunlichst in Bodennähe. Zusätzliche Gefahr droht in der raschen Überschreitung des weissen Bogens. Dieser markiert am Geschwindigkeitsmesser die Speed für maximal ausgefahrene Klappen. Mit nur teilweise ausgefahrenen Klappen stellt es kein Problem dar, diese geringfügig zu überschreiten. Die Annahme, daß es auf voll ausgefahrene Klappen auch zutrifft ist leider falsch.
Was passiert aber bei Überschreiten der Klappengeschwindigkeit bei vollen Klappen? Bei einer C42 (!) vergleichsweise wenig. Im Regelfall gibt es einen lauten Knall und die Landeklappen springen von selbst wieder rein. Doch hat das in Bodennähe enorme Auswirkungen. Es drohen Durchsacken, Aufprall und Überschlag oder bei einem hohen Anstellwinkel der befürchtete Power-On Stall.
Kurzstart-Technik
Die am meisten verbreitete „Hannemannsche“ Kurzstart-Technik für eine C42 beginnt am äußersten Bahnende mit dem Festhalten der Bremsen unter langsamen Vollgas geben. Erst nach 1-2 Sekunden löst man die Bremsen und beschleunigt wie in einem Katapult nach vorne. Bei teilweise ausgefahrenen Klappen erfolgt der Startlauf ähnlich wie bei einem Start von unbefestigten Pisten. Nach dem Rotieren frühestens jedoch bei Vs - zulassungsbedingt bei allen ULs mit MTOW 472,5 kg bei 65 km/h - werden die vollen Klappen gezogen und mit der Hand fest gehalten. Das bewirkt einen kräftigen Impuls nach oben, so daß auch das Hauptfahrwerk vom Boden frei kommt. Nun gilt es kontrolliert im Zusammenspiel mit Höhenruder und Landeklappen und unter stetiger Geschwindigkeitszunahme die Landeklappen behutsam wieder einzufahren ohne an Höhe zu verlieren oder mit dem Hauptfahrwerk aufzusetzen. Wer ohne Beschleunigen mit Stallspeed aus dem Bodeneffekt in den Steigflug übergeht, fällt auf die Nase. Im flachen Steigflug kann dann wie gewohnt bei sicheren 120-130 km/h die Piste verlassen werden. Mit dieser Kurzstart-Technik sind in einer C42 Starts in nur 60 Meter möglich. Das wäre in etwa eine halbe Fußballfeld-Länge. Wer es auf die Spitze treiben möchte kann seinen Startlauf durch einen rollenden Start verkürzen indem er mit dem Anfangsschwung direkt vom Rollhalt in die Startrichtung eindreht. Alleine und mit wenig Sprit sind sogar Startstrecken von nur 50 Metern möglich.
Es versteht sich von selbst, daß dieses Verfahren nur auf Mustern mit manuell verstellbaren Landeklappen funktioniert. Auch sollte mit Fluglehrer auf einem ausreichend dimensionierten Platz zuvor trainiert werden bevor die Kür auf 250 Meter kurzen Segelflugplätzen erfolgt. Wer Interesse an einem solchen Sicherheitstraining hat erfährt bei ul-fortbildung.de mehr.
Start bei Seiten- und Rückenwind
Last but not least: Starts bei unterschiedlichen Windverhältnissen. Natürlich ist es erstrebenswert gegen den Wind zu starten. Doch die Welt ist nicht perfekt und meistens kommt der Wind doch irgendwie cross von der Seite. Hier sollte der erste Gedanke an die im Betriebshandbuch stehende maximale Seitenwindkomponente gehen. Im zweiten Gedanken sollte sich dann jeder selbst fragen, ob er die von einem Testpiloten demonstrierte Zahl auch in der Lage ist zu fliegen. Wer kennt nicht das machtlose Gefühl im Startlauf mehr und mehr versetzt zu werden?
Die Lösung lautet hier ein möglichst zügiges Rotieren und schnell vom Boden Wegkommen. Zügig im Sinne von in einem Zug und nicht im Sinne von frühzeitig. Solange mit dem Seitenruder bzw. dem angesteuerten Bugrad die Abfluggrundlinie gehalten werden kann, sollte man diesen Vorteil auch möglichst lange für sich nutzen. Das gilt besonders für Muster mit langgezogenen Nasen oder kleinen Seitenrudern. Eine DV-1 Skylark zum Beispiel muss bei Seitenwind immer mit einem leichtem Zwang am Fliegen gehindert werden - spricht das Rotieren möglichst lange hinausgezögert werden. Dabei ist stets zu beachten, daß die luv-seitige Fläche nicht angehoben wird.
Einmal in der Luft heisst es Nase in Windrichtung vorhalten. Wer mit einem 10-15 Grad Luvwinkel unter Beibehaltung der Centerline abhebt, der hat den Seitenwind erfolgreich gemeistert.
Wie sieht es bei Rückenwind aus? Gibt es Situationen, wo ein UL Pilot mit Rückenwind rechnen muß? Ja diese Situationen gibt es. Bei uns am Platz zum Beispiel strömt der Südwind um einen 80 Meter hohen Bergrücken herum von beiden Seiten in das Ruhrtal ein. Das ergibt kuriose Bilder wenn der Windsack am Anfang der Piste Rückenwind anzeigt, am Ende hingegen Gegenwind. Und kaum ist man aus dem Ruhrtal über den Bergen kommt der Wind von rechts. Als Problematisch erweisen sich zusätzliche Verwirbelungen und Rotoren an den Hängen und Übergangsbereichen. Das Eindrehen in den Querabflug sollte von daher nicht zu früh und auf keinem Fall im Lee der Berge erfolgen. Wer hier mit ausreichenden Geschwindigkeitsreserven fliegt, hat nichts zu befürchten.
Eine andere Situation ergab sich zu meiner Zeit auf Lüli. Hier fanden am nahgelegenen Friedhof oftmals Trauerfeiern statt, die einen Start gegen den Wind aus Lärmschutzgründen wenig empfehlenswert machten. In diesem Fall starteten wir mit Rückwind in die entgegensetzte Richtung. Grundsätzlich für ein übermotorisiertes ULs bei einer ausreichender Pistenlänge (950 Meter) und wenig Wind kein Problem solange der Rückenwind entsprechend als Reserve aufgeschlagen wird.
Wir kommen zum Ende meiner kleinen Miniserie. Ich möchte in Anbetracht der vielen Unfälle mit Stalls in Bodennähe an meine Fliegerkollegen appellieren, beim Start alle Sinne zu schärfen, sich vom Fliegen nicht ablenken zu lassen und lieber mit großzügigen Sicherheitsreserven und Aufschlägen zu arbeiten.
In diesem Sinne fliegt safe!
Euer Tomas Jakobs
Wer bisher immer nur auf Asphalt gestartet ist, für den stellen Gras-, Schotter- bzw. Erdpisten eine neue Erfahrung dar. Doch bevor wir loslegen zunächst ein extra Abschnitt zu dem, was auf keinen Fall passieren darf:
Stall im Steigflug
Warum die ständigen Ermahnungen auf die Geschwindigkeit zu achten und lieber mit etwas mehr an Reserve zu starten? Weil es eine gute Faustregel zum Verhindern eines Strömungsabrisses ist. Natürlich ist nicht die Geschwindigkeit sondern der Anstellwinkel (Angle of Attack oder kurz AOA) der Verantwortliche. Und es ist der Steigflug, der nach mehr Auftrieb und folglich auch nach einem höheren Anstellwinkel verlangt. Doch erhöht sich mit dem Anstellwinkel leider auch der Widerstand mit dem unschönen Nebeneffekt der Fahrtabnahme. Solange weder Stallwarnung noch AOA-Anzeige zur vorgeschriebenen Mindestausrüstung eines Luftsportgerätes zählen, verbleibt einem Piloten als einziges Indiz daher nur der Blick auf seine Geschwindigkeitsanzeige.
PPL Umsteiger, die sich bisher in einer Cessna & Co auf das Quäken einer Stall-Warnung verlassen haben müssen im UL ohne Warnung auskommen. Um es in aller Deutlichkeit zu sagen: Wer in Bodennähe in einen Stall gerät, für den sind die Karten gelegt. Daher ist die beste Unfallvermeidung, es gar nicht erst soweit kommen zu lassen. Das klingt wunderbar einfach und logisch, kann aber bei Betrachtung der vielen „contributing factors“ schwieriger als gedacht sein.
Grundsätzlich wird zwischen drei Arten von Stall unterschieden:
- Ein Departure- oder Power-On Stall. Meist im Steigflug nach einem Start mit voller Motorleistung.
- Der Arrival- oder Power-Off Stall. Meist bei Eindrehen in den Landeanflug ohne oder mit reduzierter Motorleistung.
- Der Accelerated Stall oder dynamisches Überziehen. Ein Stall-Zustand der durch abrupte Ruderbewegungen bei höheren Geschwindigkeiten entstehen kann.
Unser Interesse gilt dem Departure oder Power-On Stall. Die begünstigenden Faktoren lauten:
- Unkontrollierte Fluglage (z.B. durch zu starkes Ziehen am Höhenruder, schiebender Flugzustand durch falschen Seiten- und Querrudereinsatz)
- Propellereffekte (Torque, P-Faktor, Korkenzieher)
- Falsche Trimmeinstellungen
- Falsche Beladung (Lastigkeit) oder Überladung(!)
- Zu frühes oder abruptes Einfahren von Klappen
- Zu frühes/ zu tiefes Eindrehen in den Querabflug
- Zu steile Kurven (High-Bank) ohne Geschwindigkeitsaufschlag
- Starts mit Rückenwind
- Ablenkungen, Human-Factors
Jeder Punkt bietet Raum für seitenfüllende Ausführungen, Beispiele und Details. Daher belasse ich es bei dieser Aufzählung und möchte lediglich den letzten Punkt „Ablenkungen“ besonders hervorheben.
Eine Kleinigkeit - ein ungewohntes Geräusch, das Klappern des noch offenen Tankdeckels, die aufgegangene Kabinentür - das alles reicht aus, um Piloten aus der Komfortzone herauszureissen und vom Fliegen abzulenken. Leider ist der Start eine kritische Flugphase, die wenig bis gar keinen Spielraum für Ablenkungen und Fehlentscheidungen übrig lässt.
Der Untergrund
Kommen wir zu Starts auf Gras-, Schotter- oder Erdpisten. Letztgenannte sind eher in den Gefilden südlich der Alpen vorzufinden. Bei uns überwiegen Graspisten. Erschreckend ist die Anzahl an Piloten, die meiner Beobachtung nach während Ihrer Ausbildung keine Berührung mit diesen hatten. Ein Defizit mit tiefergehenden psychologischen Folgen. So wird pauschal alles jenseits einer befestigten Piste gefürchtet. Anstelle der völlig bedenkenlosen Wiese, die möglicherweise sogar einen Wiederstart ermöglicht, wird für eine Notlandung lieber die befestigte Straße mit schlechterer Hindernissituation und höherem Gefahrenpotential gewählt.
Während die Beschaffenheit von Asphalt- oder Erdpisten leicht einsehbar ist, so trifft das auf Graspisten leider nicht immer zu. Tückisch sind nicht die Hinterlassenschaften einer durchgezogenen Wildschweinherde - diese sind schnell vom Boden und aus der Luft entdeckt (Dankeschön für die Bilder und zugleich Mitleid für die ruinierte Piste an den LSV Hünsborn).
Es sind die unscheinbaren Bodenwellen, von Hunden gebuddelte Löcher oder nasse und weiche Stellen. Wer morgens als erster startet, der handelt umsichtig, wenn er eine Graspiste lieber zu Fuß abschreitet. Soviel Zeit sollte sein und ist zugleich eine ideale Gelegenheit zur mentalen Vorbereitung auf den Tag oder Flug. Ohnehin sollte bei Starts auf unbefestigten Pisten mehr Zeit für die Vorflugkontrolle und nach der Landung für das Saubermachen und Prüfen nach Beschädigungen eingeplant werden. Neuralgische Stellen sind Prop, Bremsen, Fahrwerk, Ölkühlung und sämtliche Schrauben und Befestigungen. Oder wer kontrolliert bei einer C42 die beiden Schrauben auf der Fahrwerks-Innenseite, wo die Radschuhe befestigt sind? Erfahrungsgemäß lösen sich diese bei Dauerbelastung auf unbefestigten Pisten besonders gerne.
Nächster wichtiger Punkt ist die Startstrecken-Berechnung. Klingt komplizierter als es ist und wird von UL Piloten meist auf die leichte Schulter genommen. Sind wir in einem UL meist nach 150-200 Meter in der Luft. Doch spielen auch hier Faktoren wie Überladung, Bodenbeschaffenheit oder „hot & high“ eine Rolle. Eine schon etwas ältere aber immer noch lesenswerte FSM Sicherheitsmitteilung 3/75 fasst die wichtigsten Faktoren zusammen. Auf dieser Grundlage habe ich vor einigen Monaten eine kleine WebApp zur Berechnung der Startstrecke erstellt.
Eine Cowl-Flap oder Vergaservorwärmung sollten bei steinigem Untergrund während des Rollens und im Startlauf geschlossen bleiben sofern die Öffnungen nach unten weisen und Gefahr besteht, daß aufgewirbelter Staub oder Steine hineingeraten könnten. Sobald in der Luft, können (und sollten!) diese wieder geöffnet werden. Problematisch sind hier besonders Turbo-Motoren oder thermisch ungünstig gebaute Muster, die viel Kühlung brauchen. Es versteht sich von selbst, daß die Temperaturen bei Start und im späteren Steigflug im Blick behalten werden. Höhere Geschwindigkeiten und ein flacheres Steigen wirken sich hier in so fern positiv aus, da ein Motor besser gekühlt wird.
Zuletzt ein unscheinbarer Punkt, der auf unbefestigten Pisten leider schnell zum Problem werden kann: Saugnapf-Halterungen für die digitalen Helferlein im Cockpit. Meiner persönlichen Meinung nach haben Saugnäpfe in einem Panel oder an einer Frontscheibe nichts verloren. Im gleichen Atemzug sind auch frei umherfliegende Ladekabel an Zigarettenanzünder-Adaptern zu nennen. Durch die Erschütterungen einer unbefestigten Piste fallen diese früher oder später ab oder schlimmer: Pendeln noch am Ladekabel hängend im Panel hin und her und verstellen elektrische Hauptschalter oder sogar Magnete. Wir erinnern uns an den weiter oben thematisierten Punkt „Ablenkungen“ in einer kritischen Flugphase?
In der Berufsfliegerei ist zurecht die Rede von einer „sterilen“ Arbeitsumgebung unterhalb FL100. Natürlich kann die dortige Arbeitsbelastung nicht 1:1 auf uns Hobbyflieger übertragen werden, doch zählt hier der Grundgedanke hinter dieser Regelung. Wer in einer kritischen Flugphase im Chaos voller Ablenkungen sitzt, der kann nur bedingt bei der Sache sein, strukturiert denken und klaren Abläufen folgen.
Der Startlauf
Im Grunde ist jeder Start auf unbefestigtem Grund ein Kurzstart. Das Ziel lautet möglichst schnell vom Boden weg zu kommen. Jeder unnötige Schlag und Stoß geht auf das Material. Am meisten leidet das Bugrad. Alle Spornrad-Flieger dürfen sich jetzt tiefenentspannt zurück lehnen und die nächsten Abschnitte überspringen.
Bereits beim Rollen ist ein Bugrad mit einem voll nach hinten gezogenen Höhenruder zu entlasten. Das vermindert zugleich auch den Rollwiderstand. Entscheidend ist nach dem Rotieren die Balance und die weitere Beschleunigung auf dem Hauptfahrwerk um anschliessend im Bodeneffekt abzuheben. Hier kommt das richtige Landeklappen-Setting ins Spiel. Bei den meisten Mustern garantieren ausgefahrene Klappen ein rasches Wegkommen vom Boden. Die Gretchenfrage lautet immer volle oder nur teilweise ausgefahrene Klappen. Das jeweilige Betriebshandbuch des Musters gibt die Lösung. In der Regel starten die meisten ULs mit teilweise ausgefahrenen Klappen.
Trotzdem starten einige gerne mit vollen Klappen und meinen damit eine Kurzstart-Technik anzuwenden. Dem ist leider nicht so. Und was bei gutmütigen und einfachen Mustern wie einer C42 noch funktioniert, kann bei einem High-Performance Muster schnell im Unfall enden. Volle Klappen dienen hier weniger als Auftriebshilfe sondern eher als Bremsklappe. Veränderungen im Klappen-Setting gehen häufig mit dem Nachtrimmen einher und das vermeidet man tunlichst in Bodennähe. Zusätzliche Gefahr droht in der raschen Überschreitung des weissen Bogens. Dieser markiert am Geschwindigkeitsmesser die Speed für maximal ausgefahrene Klappen. Mit nur teilweise ausgefahrenen Klappen stellt es kein Problem dar, diese geringfügig zu überschreiten. Die Annahme, daß es auf voll ausgefahrene Klappen auch zutrifft ist leider falsch.
Was passiert aber bei Überschreiten der Klappengeschwindigkeit bei vollen Klappen? Bei einer C42 (!) vergleichsweise wenig. Im Regelfall gibt es einen lauten Knall und die Landeklappen springen von selbst wieder rein. Doch hat das in Bodennähe enorme Auswirkungen. Es drohen Durchsacken, Aufprall und Überschlag oder bei einem hohen Anstellwinkel der befürchtete Power-On Stall.
Kurzstart-Technik
Die am meisten verbreitete „Hannemannsche“ Kurzstart-Technik für eine C42 beginnt am äußersten Bahnende mit dem Festhalten der Bremsen unter langsamen Vollgas geben. Erst nach 1-2 Sekunden löst man die Bremsen und beschleunigt wie in einem Katapult nach vorne. Bei teilweise ausgefahrenen Klappen erfolgt der Startlauf ähnlich wie bei einem Start von unbefestigten Pisten. Nach dem Rotieren frühestens jedoch bei Vs - zulassungsbedingt bei allen ULs mit MTOW 472,5 kg bei 65 km/h - werden die vollen Klappen gezogen und mit der Hand fest gehalten. Das bewirkt einen kräftigen Impuls nach oben, so daß auch das Hauptfahrwerk vom Boden frei kommt. Nun gilt es kontrolliert im Zusammenspiel mit Höhenruder und Landeklappen und unter stetiger Geschwindigkeitszunahme die Landeklappen behutsam wieder einzufahren ohne an Höhe zu verlieren oder mit dem Hauptfahrwerk aufzusetzen. Wer ohne Beschleunigen mit Stallspeed aus dem Bodeneffekt in den Steigflug übergeht, fällt auf die Nase. Im flachen Steigflug kann dann wie gewohnt bei sicheren 120-130 km/h die Piste verlassen werden. Mit dieser Kurzstart-Technik sind in einer C42 Starts in nur 60 Meter möglich. Das wäre in etwa eine halbe Fußballfeld-Länge. Wer es auf die Spitze treiben möchte kann seinen Startlauf durch einen rollenden Start verkürzen indem er mit dem Anfangsschwung direkt vom Rollhalt in die Startrichtung eindreht. Alleine und mit wenig Sprit sind sogar Startstrecken von nur 50 Metern möglich.
Es versteht sich von selbst, daß dieses Verfahren nur auf Mustern mit manuell verstellbaren Landeklappen funktioniert. Auch sollte mit Fluglehrer auf einem ausreichend dimensionierten Platz zuvor trainiert werden bevor die Kür auf 250 Meter kurzen Segelflugplätzen erfolgt. Wer Interesse an einem solchen Sicherheitstraining hat erfährt bei ul-fortbildung.de mehr.
Start bei Seiten- und Rückenwind
Last but not least: Starts bei unterschiedlichen Windverhältnissen. Natürlich ist es erstrebenswert gegen den Wind zu starten. Doch die Welt ist nicht perfekt und meistens kommt der Wind doch irgendwie cross von der Seite. Hier sollte der erste Gedanke an die im Betriebshandbuch stehende maximale Seitenwindkomponente gehen. Im zweiten Gedanken sollte sich dann jeder selbst fragen, ob er die von einem Testpiloten demonstrierte Zahl auch in der Lage ist zu fliegen. Wer kennt nicht das machtlose Gefühl im Startlauf mehr und mehr versetzt zu werden?
Die Lösung lautet hier ein möglichst zügiges Rotieren und schnell vom Boden Wegkommen. Zügig im Sinne von in einem Zug und nicht im Sinne von frühzeitig. Solange mit dem Seitenruder bzw. dem angesteuerten Bugrad die Abfluggrundlinie gehalten werden kann, sollte man diesen Vorteil auch möglichst lange für sich nutzen. Das gilt besonders für Muster mit langgezogenen Nasen oder kleinen Seitenrudern. Eine DV-1 Skylark zum Beispiel muss bei Seitenwind immer mit einem leichtem Zwang am Fliegen gehindert werden - spricht das Rotieren möglichst lange hinausgezögert werden. Dabei ist stets zu beachten, daß die luv-seitige Fläche nicht angehoben wird.
Einmal in der Luft heisst es Nase in Windrichtung vorhalten. Wer mit einem 10-15 Grad Luvwinkel unter Beibehaltung der Centerline abhebt, der hat den Seitenwind erfolgreich gemeistert.
Wie sieht es bei Rückenwind aus? Gibt es Situationen, wo ein UL Pilot mit Rückenwind rechnen muß? Ja diese Situationen gibt es. Bei uns am Platz zum Beispiel strömt der Südwind um einen 80 Meter hohen Bergrücken herum von beiden Seiten in das Ruhrtal ein. Das ergibt kuriose Bilder wenn der Windsack am Anfang der Piste Rückenwind anzeigt, am Ende hingegen Gegenwind. Und kaum ist man aus dem Ruhrtal über den Bergen kommt der Wind von rechts. Als Problematisch erweisen sich zusätzliche Verwirbelungen und Rotoren an den Hängen und Übergangsbereichen. Das Eindrehen in den Querabflug sollte von daher nicht zu früh und auf keinem Fall im Lee der Berge erfolgen. Wer hier mit ausreichenden Geschwindigkeitsreserven fliegt, hat nichts zu befürchten.
Eine andere Situation ergab sich zu meiner Zeit auf Lüli. Hier fanden am nahgelegenen Friedhof oftmals Trauerfeiern statt, die einen Start gegen den Wind aus Lärmschutzgründen wenig empfehlenswert machten. In diesem Fall starteten wir mit Rückwind in die entgegensetzte Richtung. Grundsätzlich für ein übermotorisiertes ULs bei einer ausreichender Pistenlänge (950 Meter) und wenig Wind kein Problem solange der Rückenwind entsprechend als Reserve aufgeschlagen wird.
Wir kommen zum Ende meiner kleinen Miniserie. Ich möchte in Anbetracht der vielen Unfälle mit Stalls in Bodennähe an meine Fliegerkollegen appellieren, beim Start alle Sinne zu schärfen, sich vom Fliegen nicht ablenken zu lassen und lieber mit großzügigen Sicherheitsreserven und Aufschlägen zu arbeiten.
In diesem Sinne fliegt safe!
Euer Tomas Jakobs