Umkehrkurven
13.09.16 11:07 Praxis | Ausbildung
von Christian Böhm und Tomas Jakobs
An ein in Stein gemeißeltes Dogma mit heftigen Reaktionen und Diskussionen sind wir letzten Monat mit unseren Blog "Expect the Unexpected“ gestoßen - genauer - mit dem dort vorgestellten Beispiel einer Umkehrkurve. Das eigentliche Thema "Entscheidungsfindung" rückte schnell in den Hintergrund.
Dogmen in der Fliegerei sind so eine Sache und mit einer schwarz-weiß Theorie-Denke kommt ein Pilot bekanntlich nicht weit. Übergänge sind in der Praxis fliessend in feinen Graustufen.
Im Verlauf der Diskussion und anhand der vielen - positiven wie negativen - Reaktionen wurde uns klar, daß die Ursachen tiefer liegen. Mit dem heutigen Blog gehen wir auf häufige Einwände und bisher ungenannte Details ein.
Einwand: „400 Fuß Umkehrkurve klappt nur im Hochleistungs-UL“
Mit neuen Videos nehmen wir uns der Kritik an, daß die von einer Pipistrel Virus SW gezeigte Umkehrkurve in 400 Fuß (Video hier abrufbar) nicht bei "normalen" UL Mustern möglich sei. Manche rückten die Pipistrel Virus SW (Shortwing!) in den Leistungsbereich eines Motorseglers und betrachten nur die Gleitzahl. Doch die Gleitzahl ist es nicht. Die nominalen Unterschiede zwischen VirusSW (Gleitzahl 1:15) und einer C42 (Gleitzahl 1:12) sind marginal. Zum Vergleich: DIe HK36 Dimona hat 1:27.
Es sind Wendigkeit, Gewicht, Speeds - die wiederum dynamisch vom Gewicht abhängen - sowie die Turn-Rate wie schnell die Maschine in welchem Wendekreis gedreht ist. Pauschale Vergleiche von schweren, schnellen Motorflugzeugen zu langsamen, leichten ULs greifen zu kurz.
Einwand: „Umkehrkurven sind zu kompliziert“
Umkehrkurven sind Flugmanöver mit festen Abläufen und klaren Entscheidungskriterien. Wie bei anderen Manövern können diese erlernt, motorisch und mental verfestigt und für Notsituationen abrufbar gemacht werden. Unserer Erfahrungen nach wird es schnell gelernt und verinnerlicht.
Anflüge auf Notlandefelder mit zahlreichen Richtungs- und Höhenwechsel sind zum Beispiel fliegerisch anspruchsvoller als eine trainierte Umkehrkurve. Zumal bei normaler Landung auf der Piste Schritte wie das Ausschalten der Zündung und das Schliessen des Brandhahnes entfallen.
Einwand: „Es gibt immer Alternativen zur Umkehrkurve“
Plätze ohne Notlandefelder sind nicht zwangsläufig abgelegene Segelflugplätze im tiefsten Sauerland, Schwarzwald oder in einem schwer zugänglichen Alpental. Scheinbar gut erschlossene Plätze in dicht besiedelten Gebieten wie Mannheim City bieten erschreckend wenige Optionen bei einem Motorausfall im Steigflug. Notwasserung im Rhein oder Umkehrkurve?
Ein Rettungssystem ist entgegen etablierter Meinung kein „Reset-Button“. Zeitpunkt, Ort und Entscheidungshöhe der Auslösung sind zu bedenken wie die jüngsten UL-Unfälle bei Schwäbisch Gmünd und Grefrath zeigen.
Bei unbekannten Plätzen und erst Recht überall dort, wo wenig oder kaum Notlandemöglichkeiten bestehen, ist ein Pilot gut beraten mit der Umkehrkurve eine zusätzliche Alternative parat zu haben.
Soviel zu den Einwänden, kommen wir zu den tieferliegenden Details:
Starttechnik
Bei Motorausfall zählen die ersten Sekunden. Wichtige Rahmenbedingungen werden bereits zuvor mit Flugvorbereitung und Starttechnik gesetzt.
Richtig geflogen senkt ein Flugzeug bei Motorausfall die Nase sanft und stabilisiert sich in der erwünschten Gleitfluglage ohne Notwendigkeit schnell nach unten zu drücken. Auf den Flieger "hören" und "fliegen lassen" erweist sich bei ausreichenden Speed-Reserven besser, als mit hektischen Ruderbewegungen einen Flugzustand zu erzwingen. Wer zuviel nachdrückt ohne seine Geschwindigkeiten zu kennen, verliert unnötig Höhe.
Wir sind oft gezwungen Defizite in der Starttechnik aufzuzeigen und abzutrainieren wenn zu langsam, zu steil und mit einem nicht mehr vertretbaren Anstellwinkel gestartet wird.
Ohne Gedanken über Auswirkungen einer Handlung lebt sich einfacher aber leider auch kürzer. "Contributing factors" wie geringe Flugpraxis, Böen, Lee-Rotoren, Überladung führen unweigerlich zu einem weiteren BFU Unfallbericht. Stellvertretend für viele: Ein mißglücktes Durchstartmanöver.
Entscheidungshöhe
Fragen wir Piloten jenseits von hitzig geführten Diskussionen ab welcher Höhe diese zum Platz umkehren würden, erhalten wir Werte zwischen 1.000 und 2.500 Fuß AGL.
Auf unsere Folgefrage, ob bei Motorausfall in der Platzrunde auch versucht wird zum Platz zu fliegen kommt unisono ein „ja“. Warum den eigenen Flieger im Feld crashen, wenn der Platz in erreichbarer Nähe liegt? Daß eine Platzrunde hierzulande in einem Höhenband zwischen 800 bis 1.000 Fuß liegt und aus dem Gegenanflug meist zwei 90° Kurven (=180°) zu fliegen sind - diesen Widerspruch kann auch der hartnäckigste Umkehrkurven-Gegner nicht lösen.
Die Entscheidungshöhe ist alles andere als eine feste Größe. Sie kann es gar nicht sein, da Variablen wie Windstärke, Windrichtung, Platzverhältnisse, Luftfahrzeug und Trainingsstand des Piloten zusammen mit persönlichen Limits einen großen „Entscheidungs-Topf“ bilden.
An einer unerwartet anderen Stelle wird eindrucksvoll demonstriert, wie variabel die Entscheidungshöhe gehandhabt wird. Hier das Betriebshandbuch eines populären UL-Musters:
Es stammt aus dem Betriebshandbuch einer Comco C42 aus dem Jahr 2013. In der Fassung für Belgien und der Schweiz besitzen die 80 Meter bis heute Gültigkeit. Sie kann im Downloadbereich von Comco eingesehen werden. Die deutsche Fassung hat jemand 2014 still und heimlich auf 1.000 Fuß angehoben.
Wir können nicht sagen wer und warum. In keinem Berichtigungsstand und Gerätekennblatt findet diese 400%ige Anhebung eine Erwähnung. Eine Nacht und Nebel-Aktion oder hat ein C42 Pilot davon etwas mitbekommen?
Weder Comco noch einem Verband unterstellen wir böse Absichten. Schliesslich bewegen wir uns in der nicht zertifizierten Fliegerei. Auch ist jedem klar, daß die 80 Meter bzw. 260 Fuß mehr als "sportlich", die 1.000 Fuß hingegen zu hoch gegriffen sind. Was gilt denn nun? Die Angaben zur Entscheidungshöhe im Handbuch einer C42 sind uneinheitlich. Die Diskrepanz zwischen deutscher, belgischer oder schweizer Fassung nicht nachvollziehbar. Offensichtlich werden Aussagen von Verbänden in die eine wie auch andere Richtung frei von Angaben aus Betriebshandbüchern getroffen und ein Hersteller wie Comco betreibt lieber Haftungsminimierung.
Als Pilot sollte man jederzeit mit einem Triebwerksausfall rechnen und seine Optionen kennen. Nach Abwägung aller Faktoren und der vorherigen Festlegung auf eine Entscheidungshöhe (z.B. bei Flugvorbereitung/ am Rollhalt) sind Umkehrkurven bei hinreichendem Übungsstand eine sinnvolle Option.
Das Üben von Umkehrkurven
Wie können Umkehrkurven in Bodennähe ohne hohes Risiko vermittelt werden? Uns wird vorgeworfen eine "Anleitung zum Selbstmord" zu geben. Der im gleichen Text eingefügte Abschnitt zur Abwägung von Realismus und Risiken wird seltsamerweise komplett ignoriert.
Im wahren Leben gibt es keine Lösung, die nur Vorteile bietet. In der Berufsfliegerei existiert ein organisiertes Risk-Management. Wir Hobby- und Privatpiloten betreiben unser persönliches Risk-Management. Lernen Risiken zu kontrollieren und mit Gefahren professionell umgehen, das ist Eigenverantwortung und Airmanship.
Die Risikowertung für ein spontan gewähltes Notlandefeld bei unbekannten Anflugwegen und ungünstiger Hindernissituation gegenüber einer in deutlich geringeren Höhe geübten Umkehrkurve ist eindeutig. Umgekehrt ist jedes Feld voraus besser als eine Umkehrkurve unterhalb der Entscheidungshöhe.
Als Coach und Fluglehrer führen wir Piloten langsam an die Grenzen der "Komfortzone". Ein „Schema F“ für alles und jeden existiert nicht. Egal wie eine Entscheidung ausfällt - geradeaus landen oder zum Platz umkehren - wer das Manöver noch nie trainiert hat, der ist schlecht beraten, es in einer Notsituation erstmalig anwenden zu wollen. Dieser Grundsatz gilt universal für jede Art der Problemlösung.
Psychologische Faktoren
Warum fallen immer wieder Piloten bei bodennahen Flugmanövern herunter? Nach mühevoller und jahrzehntelanger Bearbeitung sollte es jeder besser wissen: "Umkehrkurven sind böse". Arbeiten Flugschulen und Fluglehrer so schlecht, daß diese Lehrmeinung bei Stillstand der Latte in Sekunden-Bruchteilen über Bord geworfen wird? Wirken hier nicht andere Faktoren hinein? Anders formuliert: Ist die Umkehrkurve hier wirklich der Schuldige?
Eigenverantwortliches Handeln mit moralischen Dogmen und Verboten fördern zu wollen ist dumm und pädagogisch wirkungslos. Die bessere Strategie: Zusammenhänge, Optionen und Handlungsmuster zum Beherrschen von Stressituationen vermitteln damit niemand - in Todesangst gefangen - irrational handelt.
In der UL Ausbildung wird Langsamflug mit und ohne Klappen in sicherer Höhe trainiert und schnell als gekonnt im Ausbildungsheft abgehakt. In Bodennähe reagiert der gleiche Pilot komplett anders und ist von herannahenden Hindernissen, dem Fehlen einer Horizontlinie im bergigen Gelände, der Herausforderung ohne Motorkraft zu fliegen, überfordert. Alle Optionen zu vermitteln und einem Piloten das Rüstzeug für gute Entscheidungen auf seinen Weg zu geben: Das ist unser Anspruch.
Der Blick über den Tellerrand
Im Segelflug werden Umkehrkurven deutlich entspannter betrachtet. Bei Seilriss an der Winde ist die Ausgangssituation ähnlich. In einer Sicherheitsmitteilung der BFU steht die Option Umkehrkurve gleichberechtigt neben einem geradeaus Landen und der verkürzten Platzrunde.
Auch ein Blick in die ATPL/ PPL Welt ist lohnenswert. Mit der freundlichen Erlaubnis von Ralph Eckhardt, 747-Berufspilot, Fluglehrer sowie freier Redakteur der Fachzeitschrift Pilot & Flugzeug dürfen wir hier seinen 20-seitigen Artikel "Die perfekte Platzrunde" in Auszügen veröffentlichen. Der vollständige Artikel aus der Ausgabe 2011/08 kann im Pilot & Flugzeug Webshop gekauft und heruntergeladen werden.
Seiner Sichtweise und der professionellen Art der Vermittlung und Anwendung können wir nichts hinzufügen und lassen es als "good practice" wirken.
Viel Spaß beim Lesen - Fliegt immer safe!
An ein in Stein gemeißeltes Dogma mit heftigen Reaktionen und Diskussionen sind wir letzten Monat mit unseren Blog "Expect the Unexpected“ gestoßen - genauer - mit dem dort vorgestellten Beispiel einer Umkehrkurve. Das eigentliche Thema "Entscheidungsfindung" rückte schnell in den Hintergrund.
Dogmen in der Fliegerei sind so eine Sache und mit einer schwarz-weiß Theorie-Denke kommt ein Pilot bekanntlich nicht weit. Übergänge sind in der Praxis fliessend in feinen Graustufen.
Im Verlauf der Diskussion und anhand der vielen - positiven wie negativen - Reaktionen wurde uns klar, daß die Ursachen tiefer liegen. Mit dem heutigen Blog gehen wir auf häufige Einwände und bisher ungenannte Details ein.
Einwand: „400 Fuß Umkehrkurve klappt nur im Hochleistungs-UL“
Mit neuen Videos nehmen wir uns der Kritik an, daß die von einer Pipistrel Virus SW gezeigte Umkehrkurve in 400 Fuß (Video hier abrufbar) nicht bei "normalen" UL Mustern möglich sei. Manche rückten die Pipistrel Virus SW (Shortwing!) in den Leistungsbereich eines Motorseglers und betrachten nur die Gleitzahl. Doch die Gleitzahl ist es nicht. Die nominalen Unterschiede zwischen VirusSW (Gleitzahl 1:15) und einer C42 (Gleitzahl 1:12) sind marginal. Zum Vergleich: DIe HK36 Dimona hat 1:27.
Es sind Wendigkeit, Gewicht, Speeds - die wiederum dynamisch vom Gewicht abhängen - sowie die Turn-Rate wie schnell die Maschine in welchem Wendekreis gedreht ist. Pauschale Vergleiche von schweren, schnellen Motorflugzeugen zu langsamen, leichten ULs greifen zu kurz.
Einwand: „Umkehrkurven sind zu kompliziert“
Umkehrkurven sind Flugmanöver mit festen Abläufen und klaren Entscheidungskriterien. Wie bei anderen Manövern können diese erlernt, motorisch und mental verfestigt und für Notsituationen abrufbar gemacht werden. Unserer Erfahrungen nach wird es schnell gelernt und verinnerlicht.
Anflüge auf Notlandefelder mit zahlreichen Richtungs- und Höhenwechsel sind zum Beispiel fliegerisch anspruchsvoller als eine trainierte Umkehrkurve. Zumal bei normaler Landung auf der Piste Schritte wie das Ausschalten der Zündung und das Schliessen des Brandhahnes entfallen.
Einwand: „Es gibt immer Alternativen zur Umkehrkurve“
Plätze ohne Notlandefelder sind nicht zwangsläufig abgelegene Segelflugplätze im tiefsten Sauerland, Schwarzwald oder in einem schwer zugänglichen Alpental. Scheinbar gut erschlossene Plätze in dicht besiedelten Gebieten wie Mannheim City bieten erschreckend wenige Optionen bei einem Motorausfall im Steigflug. Notwasserung im Rhein oder Umkehrkurve?
Ein Rettungssystem ist entgegen etablierter Meinung kein „Reset-Button“. Zeitpunkt, Ort und Entscheidungshöhe der Auslösung sind zu bedenken wie die jüngsten UL-Unfälle bei Schwäbisch Gmünd und Grefrath zeigen.
Bei unbekannten Plätzen und erst Recht überall dort, wo wenig oder kaum Notlandemöglichkeiten bestehen, ist ein Pilot gut beraten mit der Umkehrkurve eine zusätzliche Alternative parat zu haben.
Soviel zu den Einwänden, kommen wir zu den tieferliegenden Details:
Starttechnik
Bei Motorausfall zählen die ersten Sekunden. Wichtige Rahmenbedingungen werden bereits zuvor mit Flugvorbereitung und Starttechnik gesetzt.
Richtig geflogen senkt ein Flugzeug bei Motorausfall die Nase sanft und stabilisiert sich in der erwünschten Gleitfluglage ohne Notwendigkeit schnell nach unten zu drücken. Auf den Flieger "hören" und "fliegen lassen" erweist sich bei ausreichenden Speed-Reserven besser, als mit hektischen Ruderbewegungen einen Flugzustand zu erzwingen. Wer zuviel nachdrückt ohne seine Geschwindigkeiten zu kennen, verliert unnötig Höhe.
Wir sind oft gezwungen Defizite in der Starttechnik aufzuzeigen und abzutrainieren wenn zu langsam, zu steil und mit einem nicht mehr vertretbaren Anstellwinkel gestartet wird.
Ohne Gedanken über Auswirkungen einer Handlung lebt sich einfacher aber leider auch kürzer. "Contributing factors" wie geringe Flugpraxis, Böen, Lee-Rotoren, Überladung führen unweigerlich zu einem weiteren BFU Unfallbericht. Stellvertretend für viele: Ein mißglücktes Durchstartmanöver.
Entscheidungshöhe
Fragen wir Piloten jenseits von hitzig geführten Diskussionen ab welcher Höhe diese zum Platz umkehren würden, erhalten wir Werte zwischen 1.000 und 2.500 Fuß AGL.
Auf unsere Folgefrage, ob bei Motorausfall in der Platzrunde auch versucht wird zum Platz zu fliegen kommt unisono ein „ja“. Warum den eigenen Flieger im Feld crashen, wenn der Platz in erreichbarer Nähe liegt? Daß eine Platzrunde hierzulande in einem Höhenband zwischen 800 bis 1.000 Fuß liegt und aus dem Gegenanflug meist zwei 90° Kurven (=180°) zu fliegen sind - diesen Widerspruch kann auch der hartnäckigste Umkehrkurven-Gegner nicht lösen.
Die Entscheidungshöhe ist alles andere als eine feste Größe. Sie kann es gar nicht sein, da Variablen wie Windstärke, Windrichtung, Platzverhältnisse, Luftfahrzeug und Trainingsstand des Piloten zusammen mit persönlichen Limits einen großen „Entscheidungs-Topf“ bilden.
An einer unerwartet anderen Stelle wird eindrucksvoll demonstriert, wie variabel die Entscheidungshöhe gehandhabt wird. Hier das Betriebshandbuch eines populären UL-Musters:
Es stammt aus dem Betriebshandbuch einer Comco C42 aus dem Jahr 2013. In der Fassung für Belgien und der Schweiz besitzen die 80 Meter bis heute Gültigkeit. Sie kann im Downloadbereich von Comco eingesehen werden. Die deutsche Fassung hat jemand 2014 still und heimlich auf 1.000 Fuß angehoben.
Wir können nicht sagen wer und warum. In keinem Berichtigungsstand und Gerätekennblatt findet diese 400%ige Anhebung eine Erwähnung. Eine Nacht und Nebel-Aktion oder hat ein C42 Pilot davon etwas mitbekommen?
Weder Comco noch einem Verband unterstellen wir böse Absichten. Schliesslich bewegen wir uns in der nicht zertifizierten Fliegerei. Auch ist jedem klar, daß die 80 Meter bzw. 260 Fuß mehr als "sportlich", die 1.000 Fuß hingegen zu hoch gegriffen sind. Was gilt denn nun? Die Angaben zur Entscheidungshöhe im Handbuch einer C42 sind uneinheitlich. Die Diskrepanz zwischen deutscher, belgischer oder schweizer Fassung nicht nachvollziehbar. Offensichtlich werden Aussagen von Verbänden in die eine wie auch andere Richtung frei von Angaben aus Betriebshandbüchern getroffen und ein Hersteller wie Comco betreibt lieber Haftungsminimierung.
Als Pilot sollte man jederzeit mit einem Triebwerksausfall rechnen und seine Optionen kennen. Nach Abwägung aller Faktoren und der vorherigen Festlegung auf eine Entscheidungshöhe (z.B. bei Flugvorbereitung/ am Rollhalt) sind Umkehrkurven bei hinreichendem Übungsstand eine sinnvolle Option.
Das Üben von Umkehrkurven
Wie können Umkehrkurven in Bodennähe ohne hohes Risiko vermittelt werden? Uns wird vorgeworfen eine "Anleitung zum Selbstmord" zu geben. Der im gleichen Text eingefügte Abschnitt zur Abwägung von Realismus und Risiken wird seltsamerweise komplett ignoriert.
Im wahren Leben gibt es keine Lösung, die nur Vorteile bietet. In der Berufsfliegerei existiert ein organisiertes Risk-Management. Wir Hobby- und Privatpiloten betreiben unser persönliches Risk-Management. Lernen Risiken zu kontrollieren und mit Gefahren professionell umgehen, das ist Eigenverantwortung und Airmanship.
Die Risikowertung für ein spontan gewähltes Notlandefeld bei unbekannten Anflugwegen und ungünstiger Hindernissituation gegenüber einer in deutlich geringeren Höhe geübten Umkehrkurve ist eindeutig. Umgekehrt ist jedes Feld voraus besser als eine Umkehrkurve unterhalb der Entscheidungshöhe.
Als Coach und Fluglehrer führen wir Piloten langsam an die Grenzen der "Komfortzone". Ein „Schema F“ für alles und jeden existiert nicht. Egal wie eine Entscheidung ausfällt - geradeaus landen oder zum Platz umkehren - wer das Manöver noch nie trainiert hat, der ist schlecht beraten, es in einer Notsituation erstmalig anwenden zu wollen. Dieser Grundsatz gilt universal für jede Art der Problemlösung.
Psychologische Faktoren
Warum fallen immer wieder Piloten bei bodennahen Flugmanövern herunter? Nach mühevoller und jahrzehntelanger Bearbeitung sollte es jeder besser wissen: "Umkehrkurven sind böse". Arbeiten Flugschulen und Fluglehrer so schlecht, daß diese Lehrmeinung bei Stillstand der Latte in Sekunden-Bruchteilen über Bord geworfen wird? Wirken hier nicht andere Faktoren hinein? Anders formuliert: Ist die Umkehrkurve hier wirklich der Schuldige?
Eigenverantwortliches Handeln mit moralischen Dogmen und Verboten fördern zu wollen ist dumm und pädagogisch wirkungslos. Die bessere Strategie: Zusammenhänge, Optionen und Handlungsmuster zum Beherrschen von Stressituationen vermitteln damit niemand - in Todesangst gefangen - irrational handelt.
In der UL Ausbildung wird Langsamflug mit und ohne Klappen in sicherer Höhe trainiert und schnell als gekonnt im Ausbildungsheft abgehakt. In Bodennähe reagiert der gleiche Pilot komplett anders und ist von herannahenden Hindernissen, dem Fehlen einer Horizontlinie im bergigen Gelände, der Herausforderung ohne Motorkraft zu fliegen, überfordert. Alle Optionen zu vermitteln und einem Piloten das Rüstzeug für gute Entscheidungen auf seinen Weg zu geben: Das ist unser Anspruch.
Der Blick über den Tellerrand
Im Segelflug werden Umkehrkurven deutlich entspannter betrachtet. Bei Seilriss an der Winde ist die Ausgangssituation ähnlich. In einer Sicherheitsmitteilung der BFU steht die Option Umkehrkurve gleichberechtigt neben einem geradeaus Landen und der verkürzten Platzrunde.
Auch ein Blick in die ATPL/ PPL Welt ist lohnenswert. Mit der freundlichen Erlaubnis von Ralph Eckhardt, 747-Berufspilot, Fluglehrer sowie freier Redakteur der Fachzeitschrift Pilot & Flugzeug dürfen wir hier seinen 20-seitigen Artikel "Die perfekte Platzrunde" in Auszügen veröffentlichen. Der vollständige Artikel aus der Ausgabe 2011/08 kann im Pilot & Flugzeug Webshop gekauft und heruntergeladen werden.
Seiner Sichtweise und der professionellen Art der Vermittlung und Anwendung können wir nichts hinzufügen und lassen es als "good practice" wirken.
Viel Spaß beim Lesen - Fliegt immer safe!